Wenn Du nur noch ein paar Tage zu leben hast

November 2022: Gedanken zum Leben und Sterben

Waldfriedhof in Groß-Umstadt

Im Frühjahr 2021 machte ich eine Reise nach Moldawien und habe mich mit einer Infektionskrankheit angesteckt, die ich so noch nie hatte und auch nicht mehr so bekam, die innerhalb weniger Tage mir mehr und mehr die Kraft zum Atmen genommen hatte. Ich war weit weg von zu Hause in einem Land mit einer schlechten medizinischen Infrastruktur, die in der Zeit völlig überlastet war. Ich konnte nicht mehr nach Hause, ja – ich durfte nicht in dieser Zeit!

So habe ich mich nach und nach abgefunden mit der Tatsache: Ich habe nur noch ein paar Tage zu leben, alleine in einem ansonsten leeren Gästehaus, wo ich in Quarantäne lebte. Mit letzter Kraft suchte und fand ich einen Schreibblock mit der Absicht, meinen letzten Willen zu hinterlegen, was geschehen soll, wenn meine Freunde in Moldawien meinen toten Körper finden, was sie damit tun sollten. Ich hatte aber keine Konzentration mehr, dies zu schreiben, ich lag da, weder wach noch schlafend und fühlte mich wie in einem leeren, beleuchteten Saal, in dem von außen nach innen nach und nach die Lichter ausgemacht wurden. Mein Atem wurde flacher und schwerer und kleinste Wege waren mit immer größerer Anstrengung verbunden – ich habe nur noch ein paar Tage zu leben, ich werde bald nicht mehr atmen können und am Ende keine Luft mehr bekommen!

Nun war das nicht das Ende meines Lebens, sondern es gab eine unerwartete Wende, die ich auf meiner Webseite unter dem „Blog“ beschrieben habe als „das Osterwunder von Chişinău “, doch an dieser Stelle möchte ich auf die Beschreibung der äußeren Umstände verzichten, sondern nur die 1-2 Tage beschreiben, in dem ich dachte, ich werde bald gehen – fern von meiner Heimat und fern von meinen Lieben. Für viel Geld hätte ich mich heimbringen lassen können, doch der dafür notwendige Betrag hätte mein Reisebudget weit überstiegen, aber sowohl meine Verwandten als auch mein Arbeitgeber bemühten sich darum, den Betrag zusammenzubekommen, brauchten aber die entsprechende Zeit.

Abschied nehmen

Jeder weiß von einer Beerdigung, wie groß die Trauer der Hinterbliebenen um den einen Verstorbenen ist. Ich bekam aber eine Ahnung, um wie viel größer die Trauer des Sterbenden sein wird, sich von seinen Liebsten und Nächsten zu verabschieden. Viele Hinterbliebene trauern um eine Person, aber der Sterbende trauert um viele Zurückgelassene, die er nicht mehr sehen wird. Mein damals zweijähriger Enkel rief mich in der Zeit an und sagte, dass er mich besuchen will. Mir fiel es schwer, ihm zu sagen, dass ich weit weg bin und wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen werde – er hätte es nicht verstanden. Mit zunehmendem Alter würde er von seinem Opa nur noch aus Erzählungen wissen! Ich war allein, wie auch viele Sterbende in dieser Zeit allein waren, denn während der Quarantäne konnte niemand zu ihnen, und die Grenzen wurden aus Angst vor dem Virus mehr und mehr geschlossen!

So lausig gestorben, wie ich gelebt habe…

Mein Leben zog an mir vorbei, und es waren weniger die positiven Dinge, sondern die negativen Seiten meines Lebens, Versagen, Hochmut und schlechte Entscheidungen bis zuletzt: Mein Freund sagte mir eine knappe Woche davor, ich sollte lieber zu Hause bleiben mit meiner Erkältung und nicht mit zur Kirche bzw. Hochzeitsfeier gehen. Ich winkte aber ab und sagte ihm, dass es mir so schlecht auch nicht ging. Doch ich trug diesen Virus, der innerhalb weniger Tage mich aus einem kerngesunden Mann in einen Zustand verwandelte, in dem ich dachte: Ich habe nur noch ein paar Tage zu leben! Ich dachte an alle Menschen in diesem Dorf wo die Kirche und die Hochzeit stattfand, wo weit und breit kein Krankenhaus war, an der Grenze zu Transnistrien, wo ich die Menschen gedankenlos und naiv in Gefahr gebracht habe! Ja, es wurden einige dadurch krank, aber Gott sei Dank niemand so schwer, dass jemand deshalb gestorben ist. Mein Leben wäre keine Heldengeschichte gewesen! Diese dumme Entscheidung war nur das Ende einer Kette von dummen Entscheidungen in den über 50 Jahren zuvor, und ich hielt mich für so gut, so edel und so schlau, so viel besser als die anderen, über die ich gerne so herzog – aber es zerfiel wie Staub, wie wohl auch mein Leib zerfallen würde weit weg von zu Hause in einem Grab in Moldawien.

Und doch keine Angst vor dem Tod!

Es war seltsam: Ich hatte Angst vor dem Sterben, aber keine Angst vor dem Tod! Die Aussicht, qualvoll zu ersticken, machte mir Angst, aber dann? Als junger Mensch dachte ich, dass es wohl eine Waage gibt, auf der auf der rechten Seite die guten Taten gelegt werden und auf der linken die schlechten. Gäbe es diese Waage, dann hätte ich keine Chance gehabt, ich wäre am falschen Ende herausgekommen! Das war mir nie bewusster als in dieser Zeit!

Es nahte Ostern, und ich dachte an Jesus Christus, der einst sagte, dass er gekommen ist, Sünder zu rufen und nicht Gerechte! Ich war mir mehr als alles andere bewusst, dass Gott wohl keineswegs von meinem Leben beeindruckt war, wenn ich ihm gegenübertrete, aber ich konnte wie Hiob bekennen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über meinem Staub stehen!“ – In einer Woche war die Passionswoche, wo die Christen dem Leidensweg des Herrn Jesus gedenken, die ihn ans Kreuz führten. Er kam in diese Welt, und er trug auch meine Sünden ans Kreuz! Sollte ich nun ins Jenseits treten, dann würde das Urteil: „schuldig“ lauten, aber meine Schuld hat Jesus bereits am Kreuz bezahlt. Diese Gewissheit nahm mir in diesen Tagen jede Angst vor dem Tod und was danach kommt!

Der Herr behütet die Einfältigen!

So steht es in Psalm 116 Vers 6 geschrieben! Als ich innerlich bereit war, aufs Sterben zuzugehen, kam die Wende, und wurde fast genauso schnell wieder gesund wie ich krank geworden war. Die Ärzte konnten dies nicht erklären, es bleibt ein Wunder, ein Geheimnis! Es war aber nicht so, dass ich von jetzt auf eben gesprungen bin wie ein junger Hirsch, sondern eine moldawische Ärztin investierte ihre Zeit und riskierte ihr Leben, um mein Leben zu retten. Sie suchte mich auf, besorgte mir alle möglichen Medikamente und versorgte mich mit einem Sauerstoffgerät. Der Virus war nach einigen Tagen weg, und ich konnte wieder nach Hause!

Fazit: Keine größere Liebe hat der, der sein Leben lässt für seine Freunde!

Wir sagen gerne: „Das Leben ist kurz, genieße es“ – doch die Tage in Chişinău sagen mir viel mehr: „Die Ewigkeit ist lang, bereite Dich darauf vor!“. Wenn es eine Sicherheit im Leben gibt, dann ist es die, dass das Leben endlich ist! Niemand, der vor 150 Jahren auf der Erde lebte, ist noch hier, und in 150 Jahren wird niemand von denen, die heute auf der Erde sind, dann auf der Erde noch sein! Also halte ich es für viel klüger, sich auf die Ewigkeit vorzubereiten als die Tatsache, dass das Leben endlich ist, zu ignorieren.

Jesus ist nicht gekommen, um Gerechte zu rufen, sondern Sünder zur Buße! Ich muss also erst einmal an den Punkt gekommen sein, dass ich erkenne, dass ich eigentlich nichts zu bringen habe. Solange ich der Meinung bin, dass ich doch ein ordentlicher Kerl bin, und Gott froh sein kann, dass er so jemanden wie mich in seinen Reihen hat, habe ich es genauso wenig verstanden wie der, der sich keine Gedanken über Gott macht und getreu dem Motto: „Tue recht und scheue niemand“ lebt. Ich kenne viele Menschen, die in tiefsten Abgründen bis hin zur Schwerstkriminalität lebten, die verstanden haben, dass sie Sünder sind und einen Retter brauchen. Es ist schon was dran, wenn Jesus zu den Frommen seiner Zeit sagte, dass die Zöllner (heute eher: windige Händler, die den Leuten das Geld aus der Tasche ziehen und nutzlose Dinge für viel Geld verkaufen) und Huren eher ins Reich Gottes kommen als sie – es ist heute nicht anders!

Ich bin gerettet aus Gnade allein, ohne jeden eigenen Verdienst, weil der Preis am Kreuz durch Jesus Christus bezahlt ist! Der Schuldbrief ist zerrissen! Und ich erlebte Menschen, die ihr Leben riskierten und investierten, dass ich weiterleben kann! Aus diesem Grund wird Moldawien immer in meinem Herzen bleiben, und auch die treibende Motivation, für die Menschen da zu sein, wenn sie mich brauchen, wie ein Jahr später bei diesem Krieg, unter denen viele Menschen in der Ukraine und in Moldawien zu leiden haben.

Ich war vor einigen Monaten in Moldawien, als Gerüchte aufkamen, dass die Russen Moldawien besetzen wollen, um eine weitere Front in den Westen der Ukraine zu öffnen und hatte keine Angst. Ich wusste, dass nichts geschieht, was Gott nicht zulassen wird, und ich brauche mich nicht zu fürchten, wenn ich am nächsten Morgen aufwache, und die Russen da sind. Die Ukrainer, mit denen ich in dieser Zeit im gleichen Gästehaus lebte, in dem ich ein Jahr zuvor fast gestorben wäre, zeigten mir Nachrichten, dass die Deutschen das Land verlassen sollten. Ich sagte denen nur, dass ein Jahr davor die Leute aus der Botschaft mir Vorwürfe machten, warum ich in Moldawien bin, und dass sie mir auch nicht helfen könnten. So blieb ich bis zur geplanten Abreise und die Russen kamen nicht – bis heute nicht!

Mein Leben ist ein Gnadengeschenk! Ich brauche mich nicht bemühen, um möglichst viele gute Taten und religiöse Werke zu sammeln, um die rechte Waagschale möglichst schwer zu bekommen. Ich glaube nicht, dass es diese Waage gibt, aber es motiviert mich, mein Leben für den zu investieren, der für mich gestorben ist, und ein Stück weit mein Leben und meine wiedergewonnene Energie denen zurückzugeben, die in Moldawien sich für mich investiert haben – aber auch meinen Verwandten und meinem Arbeitgeber, die bereit waren, diesen hohen Betrag zu bezahlen, um mich mit einem für mich persönlichem Flugzeug in meine Heimat zurückzuholen. Ich musste aber auf dieses Angebot nicht mehr zurückkommen, weil ich alsbald wieder genesen war. Es ist mir eine Freude und eine Ehre, die zu unterstützen, die von Krieg und Not nun betroffen sind, und ich danke alle denen, die mich bei dieser Arbeit, besonders hier in Groß-Umstadt unterstützt haben und es auch weiter tun!

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